Physiologische Alpenreisen im 19. Jahrhundert
Eine Wissenschaftsgeschichte vom Verhalten des Körpers oberhalb der
Baumgrenze. Die Entdeckungsreise führt vom romantischen Gefühl der Erhabenheit
hoch in den Alpen bis in die Labors der modernen Arbeitswissenschaft.
Die Alpen und kein Ende: Berg- und Gipfelerlebnisse haben nach wie vor
literarische Konjunktur. Dabei sind die Seelen- und Körperlandschaften des
Gebirges längst vermessen, seine erhabenen Schrecken längst Klischee.
Philipp Felsch ermöglicht in seiner Kulturgeschichte der Physiologie in den
Alpen einen neuen Zugang zum anhaltenden Faszinosum ‹Mensch am Berg›. Er
richtet sein Augenmerk auf jene modernen Erben der romantischen
Alpenbegeisterung, die den Körper in der Höhe zum Gegenstand von
physiologischen Experimenten machten. Im Mittelpunkt der Untersuchung steht
der Turiner Experimentalphysiologe Angelo Mosso (1846-1910), der weniger durch
seine Konzepte und Theorien als durch seine innovative Forschungspraxis und
auch durch seine Persönlichkeit bekannt wurde.
Schon immer besaß das Erhabene medizinisch-pathologisches Potential. Im
Jahrhundert der positiven Wissenschaften wurde das Erhabene zum Ausgangspunkt
einer Physiologie des alpinen Menschen, die alle Körperobsessionen ihres
Zeitalters teilte: utopische Hoffnungen auf den Übermenschen ebenso wie vitale
Ängste vor seiner schleichenden Erschöpfung. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts
mündete die Höhenphysiologie in die Testreihen von Arbeitswissenschaftlern und
Flugmedizinern. Felsch zeigt, dass die Alpen nicht nur der Zufluchtsraum,
sondern auch die Laborlandschaft der Moderne gewesen sind.